
„Brahms Klavierkonzerte“
ECM
Für den 1953 in Budapest geborenen András Schiff ist die Musik von Brahms „durchsichtig, feinfühlig, dynamisch äußerst differenziert und schattiert“. Um dies kenntlich zu machen, ist es freilich nötig, sich die Aufführungssituation jener Zeit zu vergegenwärtigen und, so weit das möglich ist, zu rekonstruieren. Die Meininger Hofkapelle, eines der fortschrittlichsten und angesehensten Orchester Europas zu jener Zeit und von Brahms stets favorisiert – seine vierte Symphonie wurde 1885 von ihm selbst dort uraufgeführt – beschäftigte zeitweise nicht mehr als 49 Instrumentalisten mit neun ersten Violinen. Und auch die Klaviere jener Tage, die Brahms bevorzugte, vornehmlich der Firmen Streicher, Bösendorfer und Blüthner, waren in ihrem Klang transparenter, obertonreicher und nicht zuletzt auch leichter ansprechend.
Schon auf einigen früheren Einspielung bei ECM New Series griff András Schiff auf historische Instrumente zurück, etwa bei seinen zwei Doppelalben mit späten Klavierwerken von Franz Schubert, für die er ein Fortepiano von Franz Brodmann um das Jahr 1820 verwendete. Denselben Flügel hat er zuvor schon bei einem Doppelalbum mit Beethovens Diabelli-Variationen gespielt, wobei er dieser Version eine weitere Interpretation des Variationszyklus auf einem Bechstein-Flügel von 1921 gegenüberstellte.
András Schiff wählte für die Aufnahme der beiden Klavierkonzerte von Johannes Brahms das (ohne Dirigenten spielende) Orchestra Of The Age Of Enlightenment als Partner, das auf sogenannten „period instruments“ spielt, Instrumenten aus der Zeit, in der die Kompositionen entstanden.
Er selbst ist auf einem historischen Flügel der Leipziger Klavierbauerfirma Julius Blüthner von 1859 zu hören. Beides ist für ihn nichts weniger als der Versuch, die Werke „neu zu deuten, sie quasi zu restaurieren, die Musik zu ‚entschlacken‘.“
Im bisweilen kammermusikalischen Duktus der Einspielung, besonders zwingend in den beiden letzten Sätzen des B-Dur-Konzertes op.83, entsteht so eine Interpretation, die sich dem originalen Klangcharakter nähert, dabei jene Schichten der Werke freilegt, die das dialogische Prinzip zwischen Solist und Orchester betonen und damit auch das Vorurteil widerlegen, das da lautet, das zweite Klavierkonzert sei eine „Symphonie mit obligatem Klavier“.
ECM