Bob Dylan „Rough and Rowdy Ways“

Bob Dylan

„Rough and Rowdy Ways“

Sony Music 

Rough and Rowdy Ways.

Es ist eher selten geworden, dass es um die bevorstehende Veröffentlichung eines Albums so viel Heimlichtuerei gibt - das komplette Tracklisting wurde erst wenige Tage vor der Veröffentlichung bekannt. Nur stückweise sickerten Informationen nach draußen.  Im März hatte Dylan auf seiner Website die Fans gegrüßt und dort den Song  „Murder Most Foul“ veröffentlicht. Sein Kommentar: „This is an unreleased song we recorded a while back that you might find interesting. Stay safe, stay observant and may God be with you.“  Es folgten zwei weitere Songs: „I Contain Multitude“ und,  im Mai dieses Jahres, „False Prophet“. Inzwischen ist es da, das neue Album „Rough And Rowdy Ways“. Und es ist besonders. Nach drei Alben mit Coversongs aus der Frank-Sinatra-Ära und des „American Songbook“ kommen auf den Schlag zehn neue Eigenkompositionen von Bob Dylan heraus – die ersten seit dem 2012er Album „TEMPEST“!

Zwei Songs bilden den inhaltlichen und musikalischen Rahmen des Albums, das mit dem sparsamst instrumentierten „I Contain Multitude“ beginnt.  Walt Whitman, Amerikas großer Dichter des 19. Jahrhunderts stand Dylan mit seinem „Song of Myself, 51“, Pate. Darin heißt es:  „...I contradict myself? Very well then I contradict myself, (I am large, I contain multitudes”). Dylan deklamiert das „Ich“ eines Erzählers, vom dem man gar zu gern glauben möchte, es sei Bob Dylan selbst. Er singt von gemalten Landschaften, einem roten Cadillac, einem schwarzen Schnurrbart, von Indiana Jones und Anne Frank, von den Rolling Stones, von Beethoven-Sonaten und Preludes von Chopin am Klavier.  Es ist eine Figur, die Dylan entspricht und die zugleich – wie jene Walt Whitmans – voller Widersprüche ist, wenn er singt: „I'm a man of contradictions, I'm a man of many moods, I contain multitudes“

In dem Song „Murder Most Foul“ als Abschluss des Albums spannt Dylan einen gewaltigen Bogen, zeichnet ein kulturgeschichtliches und zugleich politisches Panorama, das in Umfang und Format seinesgleichen sucht.  Und nicht nur, dass „Murder Most Foul“ quasi wie ein Resümee des Albums daherkommt - mit einer Spieldauer von fast 17 Minuten wird der Song auf einer Extra-CD platziert.  Dieser epische Song wiederum basiert auf einer literarischen Vorlage: „Hamlet“. Der Geist des Vaters erscheint dem Prinzen und erzählt ihm von seiner Ermordung durch den Bruder: „...schnöder Mord, wie er aufs Beste ist, doch dieser unerhört und unnatürlich...“  Vom Format her eine Ballade, beginnt „Murder Most Foul“ mit der brutalen Schilderung jenes Ereignisses am 22. November 1963 in Dallas, das Amerika erst in Schockstarre versetzte und dann zerrissen hinterließ: dem Mord an John F. Kennedy.  Dylan, 2017 für „neue poetische Ausdrucksformen in der amerikanischen Song-Tradition“ mit dem Nobelpreis für Literatur ausgezeichnet, geht genau hier „in medias res“. Und es ist verblüffend, die Menge und Vielfalt der Zitate auszumachen, mit denen er die amerikanische Kultur und das Klima beschreibt, die den Background jener Ereignisse ausmachen, zu denen auch die spätere Ermordung des Bruders von John F. Kennedy, Robert, gehörte. Um einige aus der Vielzahl zu nennen: „I Want To Hold Your Hand“ (The Beatles),„Long Black Limousine“ (Elvis Presley), „Tommy can you heare me“ (The Who), “Wake up liitle Susie” (Everly Brothers), „Only The Good  Ie Young“ (Billie Joel), „Woodstock“ (Joni Mitchell“) , „Ferry Cross the Mersey“ (Gerry and the Pacemakers von 1965),  und das Liebesfest „Aquarian Exposition“ von 1969 namens Woodstock – bei einem Stones-Konzert in Altamont im selben Jahr wurde Meredith Hunter, eine junger Afroamerikaner durch einen „Hells Angel“ erstochen, nachdem unter Drogeneinfluss eine Schusswaffe gezogen haben soll... Die Zerrissenheit Amerikas tritt heute schärfer denn je zutage, immer wieder befeuert durch einen für das Amt untauglichen Präsidenten und jüngst durch die Tötung des Schwarzen George Floyd durch einen weißen Polizisten.

Im deutlichen musikalischen Kontrast zur musikalischen Klammer des Albums stehen Songs wie „False Prophet“, „Across the Rubicon“ oder „Good Bye Jimmy Reed“. Das sind Bluesnummern, wie sie uns vertraut sind, etwa aus den „Tempest“- Zeiten, und die einmal mehr zeigen, wie eng Dylan mit der Entwicklung des Rock’n Roll verbunden ist und wie sehr er, mit 79 noch, nicht nur Poet, sondern auch Musiker ist mit einem Faible für Melodien und Harmonien.  Songs wie „Black Ryder“ oder das wunderbare „Mother of Muses“ belegen dies eindrücklich. Wie sagte er doch in seiner „Nobelpreis-Vorlesung“? „Unsere Songs sind etwas anderes als Literatur. Sie sollen gesungen, nicht gelesen werden“. Und endlich können die neuen auch gehört werden.

 

 

tzm