
„Astigmatic“
WARNER
Kein anderes Album ist für das Selbstverständnis des polnischen Jazz so wegweisend wie „Astigmatic“ vom Quintet des aus Krakau stammenden Pianisten Krzysztof Komeda. Das Album entstand 1965 während einer kurzfristig einberufenen Aufnahmesession in der Warschauer Philharmonie. Bis heute zählt die Platte zu den besten Einspielungen des polnischen Jazz.
Mit Saxofonist Zbigniew Namysłowski und Trompeter Tomasz Stańko standen ihm damals zwei Bläser zur Seite, die ihrerseits stark zur Entwicklung der Bedeutung des polnischen Jazz beitrugen. 1965 holte Komeda sich den deutschen Bassisten Günter Lenz dazu, der zuvor bei Albert Mangelsdorff und später mit Peter Herbholzheimer gespielt hatte. Komplettiert wurde das Quintett durch den schwedischen Schlagzeuger Rune Carlsson.
Das Album enthält drei Titel: „Kattorna“ „Svantetic“ und das Titelstück „Astigmatic“ - mit 23 Minute das längste. Die drei Kompositionen voller Melancholie und Dramatik, die sich nicht als Free Jazz im herkömmlichen Sinne einordnen lassen, sondern durch prägnante Themen, individuelle Klangfarben und einen unverwechselbaren Ensemble-Sound auffallen, geben bis heute den Grundton zahlloser polnischer Jazzproduktionen an.
Krzysztof Komeda wurde am 27. April 1931 als Krzysztof Trzcinski in Poznan geboren. Schon als Kind hatte er Klavierunterricht bekommen. Die früh geplante Musikerlaufbahn wurde durch den Krieg unterbrochen, nach dessen Ende er sich zunächst für ein Medizinstudium in Krakow entschied. Die dortige Jazzszene war legendär, um so mehr, als sie wegen des Aufführungsverbots im stalinistisch regierten Polen, meist in Kellern und Privatwohnungen angesiedelt war. Dort versammelten sich Jazzenthusiasten, zu denen fortan auch Krzysztof Trzcinski gehörte, der inzwischen als Hals-Nasen-Ohren-Arzt tätig war. Um seine halblegalen Aktivitäten als Jazzpianist geheim zu halten, legt er sich das Pseudonym Komeda zu. Mit Musikern wie dem Saxophonisten Jan „Ptaszyn“ Wroblewski und dem Vibraphonisten Jerzy Milian machte er sich alsbald daran, neue Wege zu beschreiten: heraus aus dem traditionellen Jazz, hin zu einer moderneren Klangsprache.
Im Januar 1968 folgte Komeda dem Ruf seinen Landsmannes Roman Polanski und ging nach Amerika. Die beiden Künstler hatten sich 1957 auf der Filmschule in Lodz kennengelernt. Schon 1962 hatte Komeda für Polanskis Frühwerk „Messer im Wasser“ die Filmmusik geschrieben. In Hollywood dann machte er sich schließlich durch die Soundtracks für Polanskis Filme „Tanz der Vampire“ und „Rosemarys Baby“ unsterblich. Polanski sagte später über Komedas Musik: „Sie war kühl und modern, aber in ihr schlug ein menschliches Herz. Er war der Filmmusiker per excellence. Er gab meinen Filmen Wert. Sie wären wertlos ohne seine Musik“.
Komeda hat für insgesamt 67 Filme die Musik geschrieben - u.a. arbeitete er dafür auch mit Andrzej Wajda zusammen – und verband dabei die Ausdrucksmöglichkeiten von Jazz und Film aus denen er eine eigene Musiksprache entwickelte. Für diese war charakteristisch, entgegen damaliger Trends, auf vordergründige Klangmalereien zu Bildern zu verzichten. Stattdessen setzte er Klänge und Rhythmus so ein, dass sie eine weitere Stimme in der Erzählung des Filmes wurden.
Krzysztof Komeda starb am 23. April 1969, vier Tage vor seinem 38. Geburtstag, in Warschau. Die Folgen eines vorausgegangenen, tragischen Autounfalls in Kalifornien beraubten der Welt des Jazz und der Filmmusik eines ihrer größten Talente.
tzm