
Yo-Yo Ma
„The Bach Project live in Athens“
C-Major/Naxos
Bach Cellosuiten.
Es gibt Musikstücke, die begleiten einen Musiker sein ganzes Leben lang. Sie werden nicht nur Teil von ihm – auch sie selbst werden durch sein Leben geprägt, verändern sich im Ausdruck, weil sie nach und nach ihre Geheimnisse preisgeben, verschmelzen am Ende mit ihm.
Johann Sebastian Bach und seine Solosuiten für Violoncello (BWV 1007-1012) begegneten Yo-Yo Ma zum ersten Mal, als er vier Jahre alt war und es war sein Vater, unter dessen Anleitung er diese neue Welt betrat. Von ihm lernte er den ersten Takt des Präludiums der ersten Suite zu spielen, jenen gebrochenen Dur-Akkord über dem tiefen G, das auf der zweiten, freischwingenden Saite des Cellos betont angestrichen wird. Und so einfach dieser Akkord scheint – er ist das akustische Markenzeichen für den Beginn einer Tour de force durch das mit Abstand schwierigste Repertoire für das Cello als Solointrument.
Wann Bach seine Cello-Suiten komponierte, ist nicht klar erwiesen, da kein Autograph erhalten geblieben ist. Auch aus der ältesten erhalten gebliebenen Abschrift durch den Organisten Johann Peter Keller aus dem Jahr 1726 geht das Entstehungsjahr nicht hervor. Im Allgemeinen jedoch wird dieser Zyklus aus sechs Suiten – vier davon in einer Dur-, zwei in einer Moll-Tonart – als Schwesterwerk der drei Sonaten und Partiten für Solovioline (BWV 1001-1006) angesehen, die um 1720 entstanden.
„Bachs Cellosuiten sind seit jeher meine musikalischen Begleiter“, sagt Yo-Yo Ma. „Seit fast sechs Jahrzehnten haben sie mich gestärkt, mich getröstet und mir Freude bereitet, in stressigen Zeiten, wenn es etwas zu feiern gab, oder ich des Trostes bedurfte. Welche Kraft hat diese Musik! Noch heute, 300 Jahre nach ihrer Entstehung, ist sie uns Beistand in schwierigen Zeiten.“
Yo-Yo Ma hat die Suiten insgesamt drei Mal aufgenommen. Die erste Gesamteinspielung entstand, als er knapp 30 Jahre alt war, die zweite Aufnahme, „Inspired by Bach“, gut zehn Jahre später. Bis zu dritten Aufnahme, die unter dem Titel „Six Evolutions“ erschien, sollten weitere 20 Jahre vergehen. Hat sich seine Beziehung zu den Suiten im Laufe der Jahre verändert? „Unsere Beziehung zu allem, egal was es ist, ändert sich in dem Maße, wie wir uns verändern“, sagt er über diese Aufnahme. „Wenn du ein Buch von Goethe mit Zwanzig liest und dann weitere zwanzig Jahre später noch einmal, wirst du sagen: Oh, das ist neu, das habe ich noch nie so gelesen. Du liest jetzt ganz andere Sachen darin. So ist das auch mit der Musik: Wenn du ein Stück in Noten aufschreibst, dann denkst du, das sei jetzt in Stein gemeißelt und verändert sich nicht mehr. Dabei ist alles, was uns umgibt, ständigen Veränderungen unterworfen. Ich spiele die Suiten inzwischen so lange und immer wieder erfahre ich Neues darüber, lerne ich, nicht nur von Cellisten, wie etwa Pablo Casals, meinem großen Mentor.“
Die Veröffentlichung des Albums „Six Evolutions“ war zugleich der Auftakt zu einer zweijährigen Welttournee mit Bachs Musik, während der Yo-Yo Ma allein die Cello-Suiten 36 mal aufführte. Das jetzt vorliegende „The Bach Project“ auf DVD und Blu-ray zeigt das bewegende Konzert, das Yo-Yo Ma im Rahmen dieser Welttournee im Juni 2019 im Odeon des Herodes Atticus in Athen am Fuße der Akropolis spielte. Es ist beeindruckend und verblüffend zugleich, miterleben zu können, wie ein einzelner Mensch mit seinem Instrument vor dieser überwältigenden Kulisse tausende Zuhörer in seinen Bann zieht.
Die enge, sehr persönliche Beziehung Yo-Yo Mas zu der Musik von Bach liegt nicht zuletzt auch in seinem Selbstverständnis als Musiker begründet. Als er zehn Jahre alt war hatte Casals zu ihm gesagt: „Ich bin zuerst mal ein Mensch, dann bin ich Musiker und dann bin ich Cellist.“ Für ein Kind, dessen Eltern immer sagen, es müsse üben, es wolle doch Cellist werden, seien das großartige Neuigkeiten gewesen,sagt Yo-Yo Ma. Als Siebenjähriger hatte er Casals vorgespielt und ihm dann sein Autogrammbüchlein hingelegt. Casals notierte ihm den ersten Takt der 3. Suite in C-Dur hinein und als er seinen Namen darunter setzte, sagte er zu Yo-Yo Ma „Achte immer darauf, dass du auch dazu kommst, Baseball zu spielen.“
tzm