Im Gespräch mit Anja Lechner

Anja Lechner

Ständige Inspiration und Herausforderung 

Fünf Fragen an die Cellistin Anja Lechner.

Das Spektrum von Anja Lechners Arbeit reicht von solistischen Auftritten mit Orchestern oder ganz allein, über kammermusikalische Projekte bei denen sie gerne alte und neue Musik gegenüberstellt. Viele ihr gewidmeter Werke von Komponisten wie Valentin Silvestrov, Tigran Mansurian, oder Dino Saluzzi  hat sie uraufgeführt. Bei ECM hat sie mehr als zwanzig Aufnahmen eingespielt, u.a. mit dem von ihr 1991 mitgegründeten Rosamunde-Quartetts, dem Tallinn Chamber Orchestra unter dem Dirigenten Tõnu Kaljuste, der Geigerin Patricia Kopatchinskaja, dem argentinischen Bandoneon-Meister Dino Saluzzi und dem französischen Pianisten François Couturier. Ihre jüngste Aufnahme „Franz Schubert: „Die Nacht“ spielte sie gemeinsam mit dem Gitarristen Pablo Márquez ein.
Eben kehrte sie von einem 50 Years Jubilee Concert für ECM  im Lincoln Center in New York City zurück. Der Musikjournalist Thomas Otto sprach mit ihr. 

Wie begann Ihre Zusammenarbeit mit ECM? Wäre auch die Zusammenarbeit mit anderen Klassiklabels denkbar gewesen? 

Zurückblickend muss ich sagen, dass gar kein anderes Label möglich gewesen wäre. Die Zusammenarbeit mit ECM und Manfred Eicher ist so besonders. Sie begann mit dem Rosamunde-Quartett, das wir 1991 gegründet hatten und mit dem ich 18 Jahre lang zusammenspielte. Wir waren damals auf der Suche nach einem Label. Ich hatte zu diesem Zeitpunkt ja schon viele Platten gemacht, aber ich hatte noch nie verstanden, was es bedeutet, wenn man einen echten Produzenten hat. Vorher konnte man eigentlich immer machen, was man wollte, und das ist nicht immer unbedingt das Beste. Aber bei jemandem mit einer so unglaublichen Erfahrung, Intuition  und solchem Weitblick, wie Manfred Eicher ihn hat, kann man seinen Horizont erweitern. 

Inwieweit nimmt er als Produzent denn Einfluss auf das Repertoire oder vielleicht auch auf die Besetzung der Aufnahme?

Er hat mal den schönen Satz gesagt: „Man kann nicht alles im Leben aufnehmen.“ Im klassischen Bereich interessiert ihn meist nur ein bestimmtes Repertoire. Dazu gehört die moderne oder die ganz alte Musik. Nachdem Manfred Eicher aber ein sehr spontaner und freier Geist ist, kann durchaus auch mal die Musik von Franz Schubert mit dabei sein, wie etwa bei meiner Aufnahme mit Pablo Marquez. Am Ende jedoch muss es ihn überzeugen, zu dem jeweiligen Musiker und damit zu dem Katalog von ECM passen. Ich hab mich sehr verändert durch die Arbeit mit ihm und durch die Begegnung mit den vielen Musikern, die ich kennenlernen durfte.

Neben Ihrer solistischen Tätigkeit arbeiten Sie mit internationalen Künstlern aus den unterschiedlichsten musikalischen Bereichen zusammen, etwa mit dem argentinischen Bandoneon-Meister Dino Saluzzi, der moldawischen Geigerin Patricia Kopatchinskaja, dem Gitarristen Pablo Marquez oder dem französischen improvisierenden Pianisten  François Couturier zusammen. Ist die daraus resultierende enorme Bandbreite Ihres eigenen musikalischen Schaffens letzten Endes ein Ergebnis Ihrer Zusammenarbeit mit dem Label ECM?

Ja und nein, denn natürlich muss man auch die Bereitschaft dazu mitbringen, und auch über einen gewissen Background verfügen. Ich glaube, wenn ich nicht schon mit 16 Jahren angefangen hätte, neben meiner klassischen Ausbildung auch frei zu spielen, dann wäre es mir heute nicht möglich, mit improvisierenden Musikern zu arbeiten. Insofern hat die Tatsache, wohin mich mein musikalischer Weg geführt hat, natürlich ganz viel mit ECM zu tun, weil man ständig inspiriert und herausgefordert wird. Diese Erfahrung verbindet mich mit vielen anderen Musikern, die für ECM aufnehmen, egal aus welchem Land sie kommen, wie alt sie sind, welche Musik sie machen. 

Können Sie mal die Verabredung für das improvisierende Musizieren beschreiben, die Sie mit den Musikern treffen, bevor Sie ins Studio gehen? Auf welcher Basis funktioniert das?

Zunächst einmal kennen wir uns als Musiker, verstehen und schätzen uns - es hat ja einen Grund, dass man sagt, man möchte etwas miteinander machen. Die Basis also ist, dass man die Musik und die Spielweise des anderen mag oder liebt und auch eine Herausforderung für sich darin sieht. Das kann manchmal ganz einfach, manchmal ganz schwierig sein. Aber dazu sind ja auch die Proben da, ohne die es nicht geht, bei notierter wie bei improvisierter Musik. Wenn ich zum Beispiel mit dem Pianisten François Couturier arbeite, dann bringen wir jeder Stücke mit, die uns gefallen, die wir immer schon mal spielen wollten. Das ist nie eine Musik, die mal expliziert für Cello und Klavier komponiert wurden. Das kann ein armenisches Lied sein, ein Klavierstück, eine mittelalterliche Melodie, oder natürlich unsere eigene Musik. Wir erarbeiten dann unsere Arrangements gemeinsam, in die wir große Freiräume für die Improvisation mit einbauen. Mit Dino Saluzzi zusammen spielen wir nur seine eigene Musik, für die ich erst mal die lateinamerikanische Musiksprache lernen musste, um sie frei spielen zu können. Auch hier hat die Improvisation einen großen Anteil...

Wenn Sie sich nur noch ein Aufnahmeprojekt mit ECM wünschen könnten – welches würden Sie unbedingt realisieren wollen?

Das wären die Cellosuiten von Johann Sebastian Bach. Aber das hat Zeit ...