
Als Richard Strauss die vier Lieder nach Texten von Hermann Hesse und Joseph Eichendorff 1948 in der Schweiz komponierte, hatte er nicht an einen geschlossenen Zyklus gedacht. Gleichwohl wurden sie unter dem Titel „Vier letzte Lieder“ 1950 bei Boosey & Hawkes in einer Reihenfolge veröffentlicht, die von jener ihrer Entstehung abwich, zugleich aber einen zyklischen Zusammenhang suggerierte: Frühling – September - Beim Schlafengehen - Im Abendrot. Ihre Eigenheit finden diese Lieder nicht nur in der musikalischen Textur, in dem Zusammentreffen von zu Herzen gehenden Melodien, großen Bögen und einer außerordentlich farbigen Instrumentierung. In ihnen beschäftigte sich Richard Strauss an seinem Lebensabend mit dem großen Thema „Abschied und Tod“. Exemplarisch dafür der Text Im Abendrot von Eichendorff: „O weiter, stiller Friede! / So tief im Abendrot. / Wie sind wir wandermüde –/ Ist dies etwa der Tod?“ In Hesses Beim Schlafengehen heißt es: „Hände lasst von allem Tun/ Stirn vergiss du alles Denken/ Alle meine Sinne nun/ wollen sich in Schlummer senken…“ und im September beschreibt Hesse den trauernden Garten: „…Der Sommer schauert/ still seinem Ende entgegen.“ Aber Strauss‘ Sinnen über die Endlichkeit des Seins auf dieser Erde hat auch noch einen ganz anderen Aspekt. Zu den „Vier letzten Liedern“ gehört auch jenes vom Frühling: „In dämmrigen Grüften/ Träumte ich lang/ Von deinen Bäumen und blauen Lüften/ Von deinem Duft und Vogelsang...“ Da ist ein Urvertrauen, eine Gewissheit: ja, das Schöne vergeht, aber auf jedes Dunkel folgt Licht.
„Natürlich sind diese Texte unglaublich und dann diese Musik – da kommen mir die Tränen“, sagt Asmik Grigorian über Strauss‘ „Vier letzte Lieder“. „Da ist niemals nur Drama oder nur Freude – es ist immer ein Mix aus Gefühlen und das geht mir sehr nahe.“
Es ist beispiellos, wie Strauss die Facetten dieses Besinnens komponiert hat und zweifellos stellt ihre Interpretation für jede Sopranistin eine Herausforderung dar, gleich, ob sie die Originalfassung mit Orchester oder die Klavierfassung wählt. Nach ihrer ersten CD für das ALPHA Label mit den hoch emotionalen Romanzen für Gesang und Klavier von Sergej Rachmaninoff stellte sich die litauische Sopranistin dieser Herausforderung auf ihrer neuen CD gleich zweifach. Sie nahm beide Versionen der „Vier letzten Lieder “ auf: die originale mit Orchester von Richard Strauss, sowie die unbekanntere Version mit Klavier in der Fassung von Max Wolff. Und genau das macht dieses Album zu einem ganz besonderen, stellt es doch das hohe interpretatorische Können Asmik Grigorians unter Beweis, ihr technisches und gestalterisches Vermögen, sich den gleichen Inhalten auf so verschiedene Weise zu nähern. Lässt sie in der Originalfassung ihre Stimme auf den Wogen der orchestralen Vielfalt reiten - Mikko Frank führt sie und das Philharmonieorchester des Französischen Rundfunks sicher und einfühlsam - so erfordert die Klavierfassung von ihr ein Höchstmaß an Sensibilität und zugleich unerschütterlicher Sicherheit. In Markus Hinterhäuser findet sie dafür einen kongenialen Partner. „Das Wichtigste für mich ist es, immer meine persönliche Geschichte und Interpretation des Texts zu finden. Wenn man das hat, dann fließt man in dieser unglaublichen Musik, dann kommt so etwas wie Magie dabei heraus“
Wie bei dieser Aufnahme.
Asmik Grigorian stellt ihr neues Album in einem Künstlergespräch bei LUDWIG BECK vor – besuchen Sie dazu unsere Musikabteilung am Freitag, den 02. Februar um 18 Uhr.
tzm

Asmik Grigorian –
„Richard Strauss: Vier letzte Lieder / 4+4 = ∞ The Laws Of Solitude“
Alpha
CD 17,95 €
LP 19,95 €
(Bildrechte: Timofey Kolesnikov)