
Vor drei Jahren, im Oktober 2021, erregte Bruce (Xiaoyu) Liu, ein junger chinesisch-kanadischer Pianist, die Aufmerksamkeit der Klavierwelt, als er den renommierten Internationalen Chopin-Klavierwettbewerb gewann. Von da an öffneten sich ihm die Türen der großen Konzertsäle, und sein Leben veränderte sich komplett: „Vorher war ich noch Student, jetzt folgte ein ganzes Jahr, in dem ich ständig auf Tournee und kaum mehr zu Hause war.“
Nur knapp ein halbes Jahr später unterzeichnete Bruce Liu einen Exklusivvertrag mit Deutsche Grammophon, wo er nun bereits sein zweites Album veröffentlicht: „Die Jahreszeiten“ von Peter Tschaikowski. Es kommt wohl nicht jedem aufstrebenden jungen Künstler in den Sinn, ausgerechnet dieses Werk, Tschaikowskis bekanntestes für das Soloklavier, einzuspielen.
Tschaikowskis „Die Jahreszeiten“ entstanden in einer Zeit tiefer Niedergeschlagenheit des Komponisten, nachdem er erleben musste, dass seinem heute so berühmten b-Moll-Klavierkonzert oder seiner 3. Sinfonie, selbst seinem Ballett „Schwanensee“ der große Erfolg versagt blieb und damit auch seine finanzielle Situation bedenklich wurde. Just in dieser Zeit erreichte ihn der Kompositionsauftrag für die Petersburger Musikzeitschrift „Nuvellist“, deren Herausgeber Nikolai Bernhard bei ihm zwölf charakteristische Klavierstücke bestellte. Sie sollten jeweils einen Monat beschreiben und im Verlaufe eines Jahres monatlich abgedruckt werden, verbunden mit Dichterversen, deren Inhalt Bezug auf den jeweiligen Monat nahm. Dieser Klavierzyklus, dessen Namen korrekter mit „Die Monate“ bezeichnet wäre, entstand in der Zeit vom Dezember 1875 bis Mai 1876. Tschaikowski versuchte, jeweilige Stimmungen und typische Szenarien in den einzelnen Stücken musikalisch darzustellen, und bekam von Bernhard, einem großen Kenner der russischen Poesie, poetische Motti mit auf den Weg, die jedem Stück vorangestellt werden und quasi als Epigraph dienen sollten. Und so bezeichnete Tschaikowski sie auch entsprechend, etwa mit dem für den Februar charakteristischen „Karneval“, für den April das „Schneeglöckchen“, für den Juli steht das „Lied der Schnitter“, für den September die Jagd und den Dezember natürlich die Weihnacht. Ergänzt werden die „Jahreszeiten“ durch die 1868 in Moskau komponierte Romanze op. 5.
Für Bruce Liu waren diese Aufnahmen, wie er sagt, „… ein Augenblick, in dem ich meinen Gefühlen nachgehen, Abstand gewinnen und ein wenig nachdenken konnte, denn hier geht es viel um persönliche Erinnerungen.“
tzm

Bruce Liu
„Tchaikovsky - The Seasons“
Deutsche Grammophon
CD 19,95 €
LP 29,95 €
(Bildrechte: Sonja Müller)