„Ein Lied singt man anders als eine Arie...“

Ein Interview mit dem Tenor Charles Castronovo

- Von Thomas Otto

 

Mit dem Namen Giacomo Puccini, dessen 100. Todestag die Musikwelt in diesem Jahr begeht, verbindet man zuallererst die dramatische Oper: „La Bohéme“, „Tosca“, „Turandot“- um nur einige zu nennen. Weniger bekannt ist er als Liedkomponist und genau dieser Aspekt prägt das neue Album des amerikanischen Tenors Charles Castronovo mit dem Münchner Rundfunkorchester unter der Leitung von Ivan Repušić, das jetzt bei BR KLASSIK erschienen ist.  Der Komponist Johannes X. Schachtner hat Puccinis Liedkompositionen mit Klavierbegleitung, die zwischen 1875 und 1917 entstanden, für Orchester bearbeitet. 
Am 27. April 2024 um 16 Uhr wird Charles Castronovo in der Klassik-Abteilung bei Ludwig Beck sein neues Album vorstellen und einige Stücke daraus zum Besten geben. Thomas Otto sprach bereits jetzt mit ihm über die Besonderheit dieser eher unbekannten Seite Puccinis, über das Spannungsfeld zwischen Oper und Lied und – über die Beatles.  

War Ihnen der Liedkomponist Puccini vor der Arbeit an diesem Album bekannt?   

 Ich wusste ein wenig darüber. Es ist ungefähr 12 oder 15 Jahre her, dass ich eine Platte mit seinen Liedern hörte. Placido Domingo hatte sie aufgenommen, er wurde von Julius Rudel am Klavier begleitet. Als ich das Album zum ersten Mal hörte, glaubte ich, viele Melodien zu kennen. Aber ich hatte keine Noten dafür. Aber ich habe ein sehr gutes Verhältnis zu Maestro Ivan Repušić – wir hatten schon bei verschiedenen Opernprojekten zusammengearbeitet. Er kam vor etwa einem Jahr auf mich zu und lud mich ein, als Artist in residence beim Rundfunkorchester zu singen. Und dann überlegten wir, welche Projekte man machen könnte im Puccini-Jahr. Wir kamen auf die Puccini-Lieder. Für mich war das perfekt! Es war viel besser, als ein weiteres Arien-Album aufzunehmen. Und ich war überglücklich, dass es für diese Lieder eine orchestrierte Variante gab.

Das Repertoire des Opernsängers Charles Castronovo reicht von der lyrischen und Belcanto-Oper wie etwa Glucks „Alceste“ bis zur dramatischen Oper wie Verdis „La Traviata“ oder Puccinis „La Bohéme“. Nun sind Sie bei der Kunstform des Liedes mit all seiner Intensität auf Ihre Stimme, auf den reinen Gesang begrenzt. Alles, was die Arbeit auf der Opernbühne ausmacht, entfällt: die darstellerische Komponente, das Orchester, Kostüme, Bühnenbild, Licht – fällt Ihnen das schwerer oder leichter? Kurz gefragt: Lieber Oper als Lied? 

Das ist wirklich eine große Frage – ich habe erst kürzlich wieder drüber nachgedacht. Um ganz ehrlich zu sein: ich habe in letzter Zeit einige Konzerte gesungen, zu Weihnachten, zu Silvester und immer wieder festgestellt, dass ich lieber auf einer Opernbühne stehe.  Und dann habe ich mich gefragt, warum das so ist, warum ich die Oper bevorzuge. Es ist, wie Sie sagen:  wenn ich ein Konzert singe, gibt es nichts, wohinter ich mich verbergen könnte, keine Schauspielerei, kein Kostüm, nichts, woran man sich festhalten könnte. Ich habe es lieber, wenn ich einen Charakter physisch auf der Bühne darstellen kann. Aber mehr und mehr im Konzert habe ich mir vorgestellt, ich stände vor einer Kamera, wie im Film - weniger mit der Gestik, mehr mit dem Gesicht ausdrücken – ich werde besser darin, aber auf einer Opernbühne bin ich entspannter. Was nun speziell diese Aufnahme betrifft, hatte ich das Gefühl, dass ich mit zunehmendem Alter mehr daran interessiert bin, etwas Intimes im Lied zu schaffen, das in seiner Art ja sehr verschieden von der Oper ist. Und es macht mir immer mehr Spaß, ich muss mir nur immer in Erinnerung rufen, dass ich mich, wenn ich ein Lied singe, um mehr Intimität bemühe. Ich arbeite daran, genau diese Fähigkeit zu entwickeln. 

Puccini hatte die Lieder eigentlich für Klavier und Stimme komponiert – auf dem Album sind alle in orchestrierter Fassung zu hören. Mein Eindruck ist, dass sich bei einigen von ihnen der Charakter durch die Instrumentierung verändert – Lieder wie etwa „Mentia l’avviso“, „Ad una morta!“ oder „Storiella amore“ kann man sich auch als Arien vorstellen. War es einfacher für Sie, sie in dieser Bearbeitung zu singen, weil es Ihren Erfahrungen als Opernsänger eher entspricht? Hätte es Sie auch gereizt, die Lieder in Klavierfassung zu singen, auf kleinem Podium? 

Sie haben recht – bei einigen dieser Lieder wäre es für Puccini sehr einfach gewesen, sie als Arien direkt in einer Oper unterzubringen. „Mentia l’avviso“ ist sehr dramatisch und ich bin es bei dieser speziellen Art von Songs auch so angegangen.  Andere wieder sind wie kleine Schlaflieder. Da sind wir wieder bei dem, worüber wir sprachen: bei solchen Liedern kommt es darauf an, mit weniger Action mehr Intimität zu erreichen - man singt sie anders als eine Arie. Ich singe meistens Opernrollen auf der Bühne und liebe das. Aber mehr und mehr verlangt es mich auch danach, Recitals zu singen, Lieder in kleinen, intimen Versionen mit Piano.  Das ist auf gewisse Weise harte Arbeit, weil es da nichts zwischen dir und dem Publikum gibt, wie ich schon sagte, nichts, wohinter man sich verstecken kann. Aber es ist ein spezieller Weg, mit dem Publikum zu kommunizieren und daran bin ich mehr und mehr interessiert. Ich denke, dass ich in meinen nächsten Recitals ein kleines Set solcher Lieder aufnehmen werde.

Gibt es einen Pianisten, mit dem Sie zusammenarbeiten?

Nein, da ich noch nicht so viele Recitals gesungen habe, waren es bisher immer verschiedene Pianisten. Ich bin aber daran interessiert, mit möglichst vielen verschiedenen Leuten zusammenzuarbeiten, um mehr meiner künstlerischen Aspekte herauszufinden. 

Es gibt dieses Foto von Ihnen mit Gitarre, und Sie sprachen auch über Ihr früheres Interesse für Rockmusik - schlummern da zwei Seelen in Ihrer Brust? Spielen Sie noch Gitarre? 
Ich habe eine Gitarre in Berlin und zu Hause in Kalifornien drei weitere… Tatsächlich habe ich in Rockbands gesungen, bevor ich meine Opernkarriere begann. Ich fand das wunderbar, aber ich hatte nie die richtige Stimme dafür, nicht den richtigen Halt, die richtige Farbe… (lacht)

Sie haben sich speziell für Beatles-Songs interessiert. Welcher war der schönste für Sie? 
Ich muss Ihnen sagen, das ist nun wirklich die schwierigste Frage! (lacht) Aber wenn Sie drauf bestehen … Ich finde George Harrisons „Something“ wunderbar, natürlich auch Songs wie „Yesterday“. Aber es gibt da noch einen großartigen Song auf dem „White Album“ von John Lennon: „Julia“. Und dann natürlich „If I fell In Love“. Das sind für mich auch echte Klassiker und ich liebe sie.