Exklusivinterview mit der Sängerin Juliane Banse

Vom Gefühl für den eigenen Körper

Ein Gespräch mit der Sängerin Juliane Banse

Von Thomas Otto

Im Oktober 2013 fand im Münchner Prinzregententheater unter der Leitung von Stefan Szoltés die konzertante Aufführung von Hindemiths Oper „Cardillac“ statt. In Erinnerung an den großen Dirigenten - er verstarb vor genau einem Jahr – veröffentlicht BR-Klassik jetzt den Live-Mitschnitt dieses Konzerts. Die Rolle der Tochter des Goldschmieds Cardillac sang die Sopranistin Juliane Banse. Thomas Otto sprach mit ihr über das Werk und über die vielen Facetten ihrer Arbeit als Sängerin.  

Frau Banse, das Sujet von Paul Hindemiths erstem abendfüllendem Bühnenwerk, der 1925/26 komponierten Oper „Cardillac“ geht auf E.T.A. Hoffmanns Kriminalnovelle „Das Fräulein von Scuderi“ zurück. Kannten Sie Hoffmanns Novelle?  

Die haben wir damals schon in der Schule gelesen, das war literarisches Pflichtprogramm. 

Anders als bei Hoffmann liegt der inhaltliche Schwerpunkt in Hindemiths Oper nicht auf der durchgehenden Schilderung eines schaurigen Kriminalfalles. Vielmehr bilden die Person des Goldschmieds Cardillac und sein Wahn den Schwerpunkt einzelner Episoden, und damit zugleich auch das besondere Verhältnis zwischen ihm und seiner Tochter, deren Partie Sie singen. War die Aufführung, die jetzt veröffentlicht wurde, eine Erstbegegnung mit diesem Werk? Welche besonderen Anforderungen hat es an Sie gestellt?

Ich hatte das Stück 2010 schon an der Staatsoper in Wien in einer fantastischen Produktion von Sven-Eric Bechtolf szenisch gesungen. Das war damals eine unglaublich intensive, genaue Beschäftigung mit eben diesem Vater-Tochter-Verhältnis.  Wie zeigt man besten, wie gefangen die beiden in dieser Beziehung sind? Vor allem die Tochter – der Vater merkt ja gar nicht, was er ihr da antut. Wir hatten in der szenischen Fassung dieses Hin-und-hergerissen-Sein der Tochter zwischen dem Vater und dem Offizier zu zeigen versucht, dieses Gefängnis, in dem das Mädchen sich befindet. Das war, glaube ich, für Hindemith auch so eine zentrale Problemstellung in seinem Stück. Man merkt auch in der Musik, dass er große Sympathien mit dem Mädchen hatte…. Es ist ein hochdramatisches Stück, und man kann nicht verstehen, warum es so wenig gespielt wird. Zumal es auch für die Sänger sehr lohnend ist. 

Ein frühes prägendes Erlebnis Ihrer künstlerischen Laufbahn war Ihr Debüt als Pamina in der Inszenierung der „Zauberflöte“ von Harry Kupfer 1989 an der Komischen Oper Berlin.
Ihre künstlerische Vita hingegen begann mit Geige und Ballett, bevor der Unterricht bei Brigitte Fassbaender in München endgültig Ihre Laufbahn als Sängerin ausrichtete. Damals standen Ihnen gleich zwei weitere Perspektiven zur Verfügung, aus denen heraus Sie als Sängerin agieren konnten:  die der Instrumentalistin und der Tänzerin, mit der Fähigkeit, Musik in der Bewegung zu zeigen – hat Ihnen das bei Ihrem Weg auf die Opernbühne geholfen?   

Mit Sicherheit. Wobei - von einem Blick aus dem Orchestergraben zu reden wäre in meinem Fall übertrieben gewesen … ich habe als Kind zwölf Jahre Geige gelernt. Aber natürlich ist eine solche musikalische Basisausbildung eine große Hilfe, was die Intonation angeht, Phrasierungen, das Zusammenspiel mit anderen Instrumenten. Man ist als Sängerin meist allein auf weiter Flur, wohingegen man als Instrumentalist in der Kammermusik zum Beispiel lernt, aufeinander zu hören, miteinander zu spielen. Wenn man da aus der Kindheit schon trainiert ist, dann hilft das natürlich. 
Erfahrungen des Tanzens sind für die Bühnenarbeit ein Riesenvorteil: Gefühle mit körperlichen Bewegungen ausdrücken zu können. Es beginnt schon damit, dass man ein Gefühl für seinen Körper hat – wie falle ich hin, wie stehe ich wieder auf, ohne dass ich mir weh tue. Tanz erfordert große Disziplin, und man lernt, nicht jede Befindlichkeit zu einem Drama werden zu lassen – das ist für den Sängerberuf äußerst wichtig.  
Ich erinnere mich, dass Kupfer sich anfangs immer darüber lustig gemacht hat: „…ach, die Banse tanzt wieder ‚Schwanensee‘…“ (lacht) Natürlich ist das Ballett ein anderer künstlerischer Ausdruck, eine andere Ästhetik, als das, was man als Sänger auf der Bühne tut, aber ich erlebe auch in meiner Tätigkeit als Gesangsprofessorin, wie wenig Beziehung viele junge Leute zu ihrem Körper haben, wie wenig sie darüber wissen, was der so alles kann und soll. Also gerade auf diesen Aspekt der künstlerischen Arbeit auf der Bühne war ich wirklich gut vorbereitet. Dadurch, dass ich selbst auch als Tänzerin auf der Bühne gestanden hatte, war mir diese Situation mit dem schwarzen Loch hinter dem grellen Scheinwerfer, der einen anstrahlt, auch nichts Neues. 
 
Ich frage Sie danach, weil ich Ihr Projekt „Winterreise“, gesungen und gemeinsam getanzt mit dem Tänzer István Simon und von Alexander Krichel am Klavier begleitet gesehen habe. 
 
Das ist eine ganz spezielle Produktion, weil sie die Körpersprache und das Singen miteinander verbindet. Wir haben das Stück auch in Ländern gespielt, wo die Leute kein Deutsch verstehen und wo die Texte dieser Lieder nicht zum kulturellen Allgemeingut gehören. Da gab es ein tolles Feedback – auch wenn die Leute die Texte nicht verstanden, haben sie ihre eigenen Geschichten daraus gehört, übersetzt durch den Tanz. Inzwischen haben wir ein zweites Stück „Selig. Neben Dir!“ mit Musik von Mozart.
 
Mindestens genauso umfangreich wie Ihr Bühnenrepertoire ist Ihr Programm als Liedsängerin: von Schubert, Schumann und Brahms über Reger, Berg bis zu Hartmann oder Kurtag. Beim Lied sind Sie gleichwohl „beschränkt“ auf die Musik und den Text und müssen, anders als in der Oper, auf Kostüme, Maske, Licht oder Bühnenbild verzichten. Hat sich im Laufe der Jahre eine Präferenz für Sie herausgebildet, etwa zwischen Bühne und Konzertsaal?  

Ich habe immer gehofft, mich nie entscheiden zu müssen. Ich finde, dass sich diese beiden Dinge gegenseitig sehr befruchten. Und der Wechsel zwischen beidem hält auch das Gehirn frisch. Wenn ich in einer Opernproduktion arbeite, dann werfe ich mich natürlich vollkommen in diese Partie, in die Rolle, in das szenische Geschehen. Aber ich genieße es auch, nach einer Reihe von Vorstellungen wieder einen Liederabend geben zu können, oder eine Bach-Passion singen zu können. Das habe ich immer als unglaublich angenehm empfunden. Dazu kommt, dass man immer von dem Einen was für das Andere lernen und Inspiration mitnehmen kann, zum Beispiel Lieder dramaturgisch in einem anderen, größeren Zusammenhang anzugehen, als nur vom Text her. Das führt ein bisschen weg vom abstrakten Liedgesang. Abgesehen davon ist es einfach auch für die Stimme gut, wenn man lernt, die stimmliche Disziplin des Liedgesangs mit auf die Opernbühne zu nehmen. Für mich ist die Kombination aus beidem also genau das Richtige. 

Ich möchte noch kurz beim Lied bleiben: Wenn Komponisten wie Wolfgang Riehm und Aribert Reimann für Sie komponieren – welcher Prozess läuft da ab? 

Im Idealfall entsteht so ein Werk in Zusammenarbeit mit dem Komponisten. Ich habe gerade den Klavierauszug einer neuen Oper des Komponisten und Dirigenten Manfred Trojahn erhalten. Der hatte mich auf seine Idee zu einem neuen Stück direkt angesprochen.  Er wusste also, während er schrieb, für wen er schrieb, hatte den Stimmklang im Ohr, wusste, was sie leisten kann. Das ist natürlich eine komfortable Situation, ein Stück so erarbeiten zu können, im Austausch sein zu können.

Die jetzt vorliegende Aufnahme von Hindemiths „Cardillac“ liegt genau zehn Jahre zurück. Dirigiert wurde das Konzert damals von Stefan Soltész, dessen Tod der Anlass für diese Veröffentlichung ist. Sie kannten ihn aus früheren gemeinsamen Projekten… 

Wir haben sehr viel zusammengearbeitet. Er hat viele Vorstellungen an der Wiener Staatsoper dirigiert, bei denen ich gesungen habe, Stammrepertoire wie die „Zauberflöte“, „Figaro“, „Rosenkavalier“. Um so schöner war es, dieses Konzert in München mit ihm machen zu können. Ich bin im Nachhinein natürlich sehr traurig darüber, dass es danach keine weitere Zusammenarbeit mit ihm mehr gegeben hat.

 

tzm

 

 

(Bildrechte: Peter Litvai)