Igor Levit || Life

Igor Levit

Igor Levit || Life
2 CDs
Sony Classical
Erhältlich ab: 05.10.2018

Eine „Lebensfeier“

Musik als Überlebenshilfe? Zumindest für den Pianisten Igor Levit war sie genau das, als er sich an die Konzeption seines neuen Albums machte – nach fast dreijähriger Pause. Es klingt so gewaltig: „das Leben“, mit alle seinen Höhen und Tiefen, Ängsten, Hoffnungen, Verlusten. Levit hat einen solchen durch den tragischen Tod eines engen Künstlerfreundes erlitten. Wie es ihm gelang, die Krise zu überwinden, die dieser Verlust mit sich brachte – davon zeugt dieses neue Doppelalbum mit seinem programmatischen Titel „Life“, das man getrost als eine Art Meditation über die Vielfalt des Lebens hören kann. Das Programm sei aus dem Gefühl heraus entstanden, sich neu erfinden zu müssen, sagt er. Die Stücke, die er dafür heraussuchte, nennt er „Lebensfeier-Werke", "Lebensfeier-Musiken".
Nun ist Igor Levit ein äußerst vielseitiger, hochgelobter und aktiver Pianist - den Umgang mit dem Komponisten und dessen Werk jedoch hat er sich noch nie leicht gemacht. Seine Rolle als Interpret eines Werkes ist immer eine ganz persönliche und ein Kriterium wie „Werktreue per se“  für ihn kein Maßstab. Kürzlich sagte er dazu in einem Interview: „Ich bin immer noch derjenige, der da am Instrument sitzt. Wie soll das gehen, dass ich mich selber quasi auslösche und nur das Werk bleibt?“


 Vor diesem Hintergrund  bietet "Life" ein besonderes  Hörerlebnis. Denn die Auswahl der Stücke ist nicht nur Ausdruck persönlicher Erfahrungen, Erlebnisse und Erkenntnisse. Mit dem Album schlägt Igor Levit einen Zirkel, der seine musikalischen Welten umschließt und dabei ein extrem breites musikalisches Beziehungsgeflecht aufzeigt, innerhalb dessen sich der Pianist bewegt. Wie wichtig ihm Johann Sebastian Bach und Ludwig van Beethoven sind, belegen seine früheren Aufnahmen, etwa der „Goldberg“- und der „Diabelli“- Variationen. Auf diesem Album nun ist die Chaconne aus der Partita für Solovioline Bachs in der Bearbeitung „für die linke Hand allein“ durch Johannes Brahms Beleg dafür. Ferruccio Busoni und Franz Liszt mit seinen Klaviertranskriptionen von Werken Richard Wagners sind Teil des Programms, so, wie auch Robert Schumanns bewegende  „Geistervariationen“. Schumann hatte, während er im Februar 1854 an ihnen arbeitete, versucht, sich durch einen nächtlichen Sprung in den Rhein das Leben zu nehmen. Nach dem er die Variationen in größter Verzweiflung beendet hatte, ließ er sich in die Nervenheilanstalt Endenich einweisen, wo er zwei Jahre später starb.  Nicht nur der Notentext an sich, sondern durchaus auch die Umstände seiner Entstehung waren für Levit ausschlaggebend, die Geistervariationen“  in das Programm dieser CD aufzunehmen.


 Oder Frederic Rzewski - er ist nicht nur sein Freund, sondern auch einer der für ihn wichtigsten zeitgenössischen Komponisten geworden. Auch Rzewski verlor einen Freund, seinen engsten. Für ihn hat er 2012 ein Klavierstück komponiert: „A Mensch“ - eine Ode an Integrität, Empathie und Aufrichtigkeit. Was Wunder, dass Igor Levit sich gerade auch für dieses Stück  entschieden hatte.    
 Oder Bill Evans - für den Schlusspunkt seines Albums zum Beispiel wählte Igor Levit ein Stück dieses Komponisten aus, den man in diesem Zusammenhang nicht vermutet hätte: „Peace Piece“ von Bill Evans. Ein Freund hatte ihn auf dieses Stück aufmerksam gemacht. Nicht nur seine inhaltliche Aussage als Ausdruck einer Hoffnung dürfte den Ausschlag dafür gegeben haben.  „Peace Piece“ ist ein  Stück, das, basierend auf nur zwei ostinato gespielten Akkorden,  dem Interpreten Zeit für raumgreifende, zugleich innige Improvisation lässt. Deren musikalischer Ausdruck scheint uns vertraut, etwa von den drei „Gymnopédies“  Erik Saties.  
Am Ende ist Igor Levits „Life“ mehr als nur Lebenshilfe - es ist ein Credo für die Hoffnung.

Thomas Otto