Exklusiv-Interview mit Simon Rattle

Ich, ein glücklicher Mann


Ein Interview mit Simon Rattle, dem Chefdirigenten von Chor und Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks

 

Seit einem Jahr ist Simon Rattle Chefdirigent von Chor und Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks, das im vergangenen Jahr sein 75-jähriges Jubiläum beging.
Thomas Otto hatte Gelegenheit, exklusiv für LUDWIG BECK mit Sir Simon Rattle zu sprechen.

Sir Simon, 75 Jahre sind, gemessen an der Schnelllebigkeit der Zeit für ein Orchester, ein hohes Alter, in dem sich auch eine gewisse Tradition herausgebildet hat.  Daran haben auch Sie mit Ihrem Wirken Ihren Anteil – bereits seit 14 Jahren arbeiten Sie miteinander, 2010 standen Sie mit Schumanns „Das Paradies und die Peri“ das erste Mal am Pult des BRSO. Als Dirigent prägen Sie mit der Umsetzung Ihre Klangvorstellungen das Orchester. Wie ist es umgekehrt - besteht eine Wechselwirkung zwischen Ihnen und dem Orchester? Hat das Orchester mit seinen Vorstellungen und Wünschen inzwischen auch Einfluss auf Sie genommen? 
Man müsste verrückt sein, als Dirigent nicht auf das zu hören und anzunehmen, was vom Orchester kommt. Was wären wir ohne die Musiker eines Orchesters? Das Dirigieren ist einer der großartigsten Scheinberufe, weil wir selbst keinen Klang erzeugen. 
Es gibt Dinge, die für jeden Dirigenten wichtig sind, denn das Orchester ist nun mal der Körper, der den Klang erzeugt, und den musst du annehmen!  Und natürlich - je größer das Orchester ist, umso vielfältiger sind die Angebote, die du von ihm erhältst. Ich erinnere mich an meine 16 Jahre bei den Berliner Philharmonikern - das Orchester, von Karajan geprägt, ist sehr gut. Wenn man bei so einem Orchester 20 % der Anstrengungen unternimmt, bekommt man 150 % von ihm zurück. Es ist eine Frage der Beziehung, die man zu einem Orchester hat.


Ein Teil Ihrer ersten Konzertprogramme als neuer Chefdirigent des BRSO war Mahlers 6. Sinfonie, die Sie mit dem Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks auch bei den Salzburger Festspielen 2024 aufführten. Ich möchte Sie gern fragen, warum Sie sich für die Eröffnungsprogramm gerade die 6. Sinfonie Gustav Mahlers entschieden haben, die „Tragische“ ein so düsteres Werk, sein düsterstes vielleicht? 
Wir haben zu Beginn meiner ersten Spielzeit drei Programme gespielt. Mir ging es dabei um Stücke, die so unterschiedlich wie möglich sind. Das eine war im Rahmen der Reihe „Musica Viva“ die Uraufführung von "Automatones" von Vito Žuraj und Luciano Berios "Coro" für 40 Stimmen und Instrumente, ein absolutes Meisterwerk. Dann haben wir Haydns „Schöpfung“ gespielt, eines der lebensbejahendsten Stücke, die es gibt. Und dann schließlich Mahlers Sechste - ich wollte den Kontrast! Aber auch Mahlers Sechste ist eine Lebensbejahung - auf eine andere Art und Weise - ein Leben mit all seinen Facetten, voller Entdeckungen und Tragödien. Es muss nicht unbedingt tragisch enden, und so ist diese Sinfonie nicht unbedingt nur tragisch. Ich dirigiere sie seit 40 Jahren und sehe inzwischen darin auch so viel andere Möglichkeiten - auch Hoffnung. Es wäre schlimm, die Sinfonie nur auf die tragische Stimmung zu reduzieren, oder das Schicksal. Mir ging es von Anfang an darum, es so anders wie möglich aufzufassen.

 

Im September waren Sie erstmals als Chef des BRSO in London bei den Proms. Einer der Gäste hat das BRSO nach dem Konzert mit der Spitzenklasse eines „Aston Martin" verglichen…
Ich selbst fahre kein Auto, deshalb liegt das völlig außerhalb meiner Erfahrung.  Ich habe keine Ahnung von Autos, ich weiß nur, dass James Bond einen Aston Martin fuhr. Aber das hat ja mit Musik nichts zu tun! Sie ist doch zutiefst menschlich und geistig. Man hört Musik, die von Menschen gespielt wird. Ich würde das Orchester nie als eine Maschine bezeichnen. Wissen Sie, ich war so sehr beeindruckt, als ich das Orchester des Bayerischen Rundfunks unter Kubelik mit 15 Jahren gehört und dabei erlebt habe, was alles möglich ist, wenn Dirigent und Orchester eine symbiotische Beziehung miteinander eingehen. Und bei allen Erlebnissen großer Orchester und großer Dirigenten habe ich nie ein solches Verhältnis erlebt, wie es zwischen Kubelik und dem BRSO bestand. Und es war immer mein tiefster Wunsch, mit einem Orchester auf dieser Basis zusammenarbeiten zu können.  Es gibt andere großartige Orchester, die wunderbar spielen – aber nicht unbedingt das, was du willst. Aber beim BRSO gibt es diese Einstellung: Wir stecken da alle zusammen drin und lassen uns die Zusammenarbeit so persönlich wie möglich gestalten. Das ist eine wundervolle Sache, deshalb bin ich ein glücklicher Mann.

 

(Bildrechte: Astrid Ackermann)