
Das „Weihnachtsoratorium“ dürfte neben den beiden Passionen nach Matthäus und Johannes Bachs wohl bekanntestes Opus sein. Dabei ist, auch wenn die Bezeichnung „Oratorium“ von Bach selbst herrührt, der Name des Werks eigentlich irreführend, denn es gibt keine, für das Oratorium charakteristische, biblische Handlung. Stattdessen haben wir es mit einer Sammlung aus sechs Kantaten zu tun, deren Zusammenhang darin besteht, dass sie dem gleichen Thema gewidmet sind und die Rezitative gewissermaßen einen vollständigen Bericht von der Geburt Jesu Christi nach Lukas und Matthäus geben. Die Arien haben keinen, wie sonst üblich, kommentierenden Charakter. Es sind lyrische Betrachtungen, Kontemplation – Besinnung, Andacht, Bekenntnis. Den Plan für diese Kantatensammlung hatte Bach schon 1733 gefasst, komponiert hat er sie dann 1734 für die Weihnachtszeit des Jahres. Bach selbst führte das „Weihnachtsoratorium“ auch nicht zusammenhängend, sondern an den sechs Tagen auf, für die sie bestimmt waren.
Mit dem Namen Sir John Eliot Gardiner verbindet sich seit mehr als 50 Jahren die Reputation eines Bach-Spezialisten und zugleich der Ruf eines unglaublich vielseitigen Musikers mit höchsten Ansprüchen. Einen großen Anteil seiner Aufnahmen nimmt die Musik Johann Sebastian Bachs ein. Neben dem „Weihnachtsoratorium“, den beiden Passionen nach Johannes und Matthäus, der „h-Moll-Messe“ und dem „Magnificat“ war es auch das Kantatenwerk Bachs, dem Gardiners Interesse galt. 40 davon hat er aufgenommen, darunter der „Actus Tragicus“ (BWV 106) und Bachs älteste erhaltene Weihnachtskantate „Christen ätzet diesen Tag“ (BWV 63). Dabei kam für ihn von Anfang an nur eine Möglichkeit in Frage, die Musik Bachs aufzuführen: mit historischen Instrumenten. So unternahm er alles, diesen Anspruch umsetzen zu können - 1969 gründete er den „Monteverdi Choir“ und 1978 die „English Baroque Soloists“, die auf Originalinstrumenten spielten. Mit diesen beiden Ensembles realisierte er seine Klangvorstellungen für Bachs Musik. So auch bei seiner ersten Aufnahme des „Weihnachtsoratoriums“, die im Januar 1987 in den Londoner Abbey Road Studios entstand.
35 Jahre nach dieser bahnbrechenden Produktion entschied sich John Eliot Gardiner, das Werk mit denselben Ensembles und einer Schar großartiger junger Solisten noch einmal aufzunehmen. Im Dezember 2022, im Rahmen von nur vier Konzerten in Europa, führte er das „Weihnachtsoratorium“ auch in der Kirche „St. Martin in the Fields“ auf und berührte das Publikum zutiefst. Für Gardiner hat das „Weihnachtsoratorium“ von Bach eine besondere Bedeutung: „Die Bandbreite seiner Kunst, seiner Vorstellungskraft und seiner Kreativität ist scheinbar endlos. Obwohl inzwischen fast 300 Jahre vergangen sind, seit es zum ersten Mal erklungen ist, bleibt Bachs Werk in seiner Energie und Inspiration unwiderstehlich.“ Nun erscheint ein Mitschnitt eines der beiden gefeierten Auftritte in London - jauchzet, frohlocket!
tzm

John Eliot Gardiner
„Bach: Weihnachtsoratorium“
Deutsche Grammophon
2CD + Bluray Video 29,95 €
(Bildrechte: Paul Marc Mitchell)