
Krystian Zimerman, Simon Rattle, Berliner Philharmoniker
Leonard Bernstein: Symphony No.2 „The Age of Anxiety“
1 CD Longplay
VÖ. 24.08.2018
Artikel-Nr.: 00028948355396
Zum Hundertsten – für einen Freund
Es war ein Gedicht, das den Anstoß zu dieser, gleich in mehrfacher Hinsicht besonderen zweiten Sinfonie Leonard Bernsteins gab, die 4. August 1949 in Boston, Massachusetts uraufgeführt wurde. Serge Koussevitzky, der das Werk in Auftrag gegeben hatte, dirigierte das Boston Symphony Orchestra, der Komponist selbst saß als Solist am Klavier.
Mit seinem Erzählgedicht "The Age of Anxiety" ("Das Zeitalter der Angst") hatte der britische Lyriker Wyston Hugh Auden ein Stimmungsbild der jungen Nachkriegsgeneration gezeichnet: Angst, Einsamkeit, Verlust und der verzweifelte Versuch, sich in einer ihr fremdgewordenen Welt zurecht zu finden. Bernstein hatte das Gedicht im Sommer 1947 gelesen, war hellauf begeistert und zunächst entschlossen, das Sujet für ein Ballett zu verarbeiten. Ein Freund jedoch überzeugt ihn, es für ein Konzertstück zu verwenden.
Mit der Umsetzung beschritt Bernstein neue Wege. Zunächst: was die Besetzung angeht – Orchester und Klavier mit einem außergewöhnlich hohen solistischen Anteil – könnte die zweite Sinfonie durchaus auch als Klavierkonzert bestehen. Was den formalen Aufbau der Sinfonie angeht, so verzichtete Bernstein auf den traditionellen viersätzigen Aufbau zugunsten einer zweiteilig gegliederten Form, die gewissermaßen dem Aufbau des Gedichts entspricht. Programmmusik im besten Sinne des Wortes: mitreißend, bewegend und zugleich extrem anspruchsvoll, vor allem was den Klavierpart angeht, ganz besonders im zweiten Teil der Sinfonie: „The Masque“ ist atemberaubend durchkomponierter Jazz, ein extrem fordernder Dialog zwischen dem Klavier und Teilen des Orchesters: Percussion, Kleiner Trommel, Pauke, Harfe, Celesta und Kontrabass um.
Der Pianist Krystian Zimermann kennt das Stück gut. Daß seine Aufnahme der zweiten Sinfonie gerade jetzt erscheint ist, durchaus kein Zufall. Nicht nur, dass sich Leonard Bernsteins Geburtstag zum 100. Mal jähren würde. Er würde, sagte der damals junge Pianist nach einer gemeinsamen Aufführung der Sinfonie 1984 mit Leonard Bernstein im Goldenen Saal des Wiener Musikvereins, diese auch noch mit ihm spielen, wenn Bernstein 100 Jahre alt sei. Nun hat sich Krystian Zimerman für die Jubiläumsaufführung jemanden anderen suchen müssen – mit seinem Freund, Sir Simon Rattle, entstand eine packende, geradezu elektrisierende Aufnahme, die zugleich auch das Ende der Zusammenarbeit Rattles mit den Berliner Philharmonikern markiert.
Bernstein wäre einverstanden.
Thomas Otto