Ein Interview
mit Werner Aldinger,
Musikproduzent
Von Thomas Otto
Das Münchner Jazz-Label ENJA RECORDS feierte jüngst seinen 50. Geburtstag. Es genießt dank seiner qualitativ hochwertigen wie thematisch vielfältigen Aufnahmen nicht nur in der Jazz-Szene einen exzellenten Ruf.
Werner Aldinger, von Hause aus Posaunist, Musikredakteur und Moderator spielte Anfang der 80er Jahre in der Band „Embryo“, die als eine der ersten Bands in Europa Rock mit Jazz verband. Er musizierte mit Jazzgrößen wie Mal Waldron und Charlie Mariano, bevor er 1990 als Labelmanager und Produzent bei ENJA RECORDS einstieg. 2008 hatte er zudem sein eigenes gegründet: Yellow Bird Records. Inzwischen leitet er das 1971 von Matthias Wickelmann und Horst Weber gegründete Label. Die Liste der Namen, mit denen Aldinger zusammenarbeitete, ist lang: Archie Shepp, Bill Frisell, Dewey & Joshua Redman, Sun Ra, Eddy Harris, Elliott Sharp, Myra Melford, Marc Ribot, Aki Takase, um nur einige zu nennen. Lang ist auch die Liste der Preise, mit denen seine Produktionen ausgezeichnet wurden. Alles gute Gründe für Thomas Otto, sich mit Werner Aldinger zu einem Gespräch zu verabreden.
Um die Gründung des Labels 1971 durch Matthias Wickelmann und Horst Weber kreisen Legenden, darunter jene von dem geliehenen Geld, mit dessen Hilfe dann gleich zum Start eine erfolgreiche Produktion mit dem Jazzpianisten Mal Waldron realisiert werden konnte, die Matthias Winckelmann gleich aus dem Auto heraus verkaufte …
Da ist was Wahres dran, aber die Reihenfolge war eine andere. Horst Weber hatte ja, bevor er und Matthias Wickelmann das Label „ENJA“ gründeten, als Schneider in Japan gearbeitet, er hat dort Herrenanzüge entworfen. Er war ein großer Jazzfan und kannte auch viele Leute aus der Szene. Eine japanische Firma hatte ihm den Auftrag gegeben, Mal Waldron aufzunehmen. Die Produktion war für Japan bestimmt, aber es stand ihm frei, sie auch in Europa zu veröffentlichen. Es gab also erst die Aufnahme und dann kam die Sache mit dem Geld, das er sich gemeinsam mit Matthias Winckelmann geliehen hatte, damit sie diese Platte in Europa veröffentlichen konnten. Und Matthias Winckelmann ist dann tatsächlich mit seinem VW-Käfer durch Deutschland gefahren und hat die Platte aus dem Auto heraus in die Plattenläden verkauft.
… und die Posaune, wann trat die in Ihr Leben?
Ich wollte eigentlich Trompete lernen. Mein Bruder spielte damals im Kirchenchor. Aber statt einer Trompete gab es dort nur noch eine Posaune, also habe ich die dann genommen. Dann bin ich recht schnell ins Rocklager gewechselt und habe mit „Embryo“ gespielt. Das war eigentlich meine musikalische Ausbildung, Ich habe dort alles kennengelernt von Sun Ra, Walt Dickerson, Eric Dolphy bis zu Sly Stone oder Curtis Mayfield. Aber auch viel Weltmusik, etwa aus Indien oder Afghanistan.
So breit wie Ihre musikalischen Erfahrungen ist auch der Katalog von ENJA RECORDS gefächert, von Charles Mingus und Abdullah Ibrahim über den Oud-Spieler Rabih Abou-Khalil oder dem Bassisten Petros Klampanis, bis zum Duo Magdalena Matthey (Chile) und Zélia Fonseca (Brasilien) die junge Saxophonistin Charlotte Greve oder die Schlagzeugerin Eva Klesse mit ihrem Quartett, vom Modern Jazz über Weltmusik bis hin zu dem eigenwilligen Mix aus Urban Jazz und Experimental Hip Hop des Quartetts Salomea – nach welchen Kriterien wählen Sie aus, mit wem Sie bei neuen Projekten zusammenarbeiten und was in den Katalog aufgenommen wird? Arbeiten Sie dabei auch mit fertigen Produktionen, die die Künstler Ihnen anbieten?
Das ist heute gängige Praxis. Ich hatte das große Glück, noch zu Zeiten einzusteigen, als das anders war. Damals fragte mich Horst Weber, was ich interessant fände, was ich aufnehmen würde - da hatte ich gerade den Saxophonisten Dewey Redman mit seinem Sohn Joshua Redman im Konzert erlebt. Da ist man dann eben nach News York geflogen, hat ein Studio gemietet und Aufnahmen gemacht - das Album „Choices“ wurde dann 1992 bei ENJA veröffentlicht.
Wenn man bedenkt, dass die meisten der Musiker, mit denen ENJA damals begann, heute nicht mehr leben – ihre Einspielungen machen einen großen Teil des Katalogs aus. Da gab es natürlich Veränderungen, es kamen europäische Musiker hinzu. Etwa Michel Godard oder Gianluigi Trovesi, deutsche Musiker wie Rebecca Trescher und Johanna Borchert, Nils Wogram und Johannes Enders – alles Musiker, die wirklich oustanding sind. Deutliches Merkmal der Veränderung ist der hohe Anteil an Frauen bei den neuen Veröffentlichungen, nicht weil ich das so geplant habe, sondern einfach, weil da gerade so viele tolle Sachen passieren, weil es so viele interessante künstlerische Angebote von Frauen gibt.
Mit vielen Künstlern arbeiten wir mit langfristig zusammen. Dabei gibt es natürlich gemeinsame Absprachen über die weitere Ausrichtung, über die nächsten Projekte. Man muss ja heutzutage irrsinnig lange vorplanen. Eva Klesse zum Beispiel macht mit ihrem Quartett alle anderthalb Jahre eine neue CD. Aber ich spreche zwischendurch immer auch junge Musiker an. Es gibt wirklich viel Interessantes, das ich gern aufnehmen würde, aber viele Slots sind schon besetzt durch Künstler, mit denen wir langfristig arbeiten und natürlich sind auch unsere Kapazitäten begrenzt.
Jazz mit dem charakteristischen hohen Anteil an Improvisation - welche Rolle spielt dieser Aspekt bei der Vorbereitung von Produktionen, etwa bei der Entscheidung, zwischen dem Live-Mitschnitt eines Konzerts, wo ja Publikum und Atmosphäre entsprechend motivieren, oder einer Studioproduktion?
Natürlich funktionieren manche Sachen live viel besser. Gerade in den frühen Jahren haben wir sehr viel Live-Musik aufgenommen. Ich hatte zum Beispiel mal eine Studioproduktion mit Eddie Harris gemacht. Und um eine bestimmte Atmosphäre, ein Feedback zu erzeugen, habe ich dazu Leute ins Studio eingeladen.
Allerdings hat es da auch ein Menge Veränderungen gegeben. Die Musik von heute funktioniert auch ein bißchen anders, so dass da oft auch eher eine Studioproduktion angemessen ist.
„Jazz“ und „Vinyl“ sind für mich eigentlich eine unzertrennliche Einheit. Natürlich lebt das auch über die Verbreitung auf CD. Aber wie ist das zu Zeiten des Streamens? Funktioniert diese Einheit „Vinyl – Jazz“ noch für Sie? Wird der aktuelle und zukünftige Katalog weiter vom Vinyl geprägt?
Bei ganz vielen jungen Künstlern ist die LP heute an erster Stelle, so dass wir oft auch nur noch die LP-Version machen! Das ist allerdings nicht nur teurer, sondern momentan mit langen Wartezeiten verbunden – wir müssen manchmal bis zu acht, neun Monaten warten. Das ist natürlich problematisch, weil sich dadurch die Veröffentlichungen enorm verzögern. Trotzdem entscheide ich mich, wo es geht, für die LP-Produktion und ich mach das gern, weil ich ja auch mit LPs aufgewachsen bin.
tzm