Nachgefragt: Im Interview mit Guido Gärtner

Ein neues Label bereichert die Plattenlandschaft auf dem Gebiet der Klassik: „BAYERISCHE STAATSOPER RECORDINGS“. Und es startet gleich mit einem Paukenschlag: Kirill Petrenko, langjähriger Generalmusikdirektor an der Bayerischen Staatsoper, dirigiert Mahlers 7. Sinfonie mit dem Bayerischen Staatsorchester.

Guido Gärtner spielt in der Gruppe der 2. Violinen und ist zugleich Geschäftsführer der Konzert GmbH des Bayerischen Staatsorchesters. Als solcher organisiert und verantwortet er seit 2012 die außerdienstlichen Projekte und Orchestertourneen des Staatsorchesters. Mit dem Management des neuen Labels der Bayerischen Staatsoper hat er nun noch ein weiteres Tätigkeitsfeld erschlossen.  

Über die langjährige Tradition des Orchesters, das neue Label und dessen Erstlings-CD sprach der Musikjournalist Thomas Otto mit Guido Gärtner.

Herr Gärtner, eigentlich sieht man ein Opernorchester ja nicht, es agiert aus dem Graben, wo es sich nicht nur in den Dienst der Musik selbst stellt, sondern auch in den der Sänger, des Regisseurs und des ganzen Theaterbetriebs. Mit seinen sinfonischen Konzerten, den sogenannten Akademiekonzerten, rückt das Bayerische Staatsorchester bereits seit dem Jahr 1811 auch auf die Bühne. Ist das für ein Orchester leichter oder schwerer?   Denn jetzt zählt ja „nur“ die Musik? Spielt man da anders?

Es ist natürlich so, dass das Bayerische Staatsorchester in der Öffentlichkeit primär als Opernorchester wahrgenommen wird. Das Theater ist ja auch seine Heimat. Aber im Bewusstsein und in der Identität des Orchesters spielt die gut zweihundertjährige Tradition als sinfonisches Orchester ebenfalls eine wichtige Rolle.

Im Endeffekt zeichnet sich das Bayerische Staatsorchester durch die Verbindung seiner beiden großen Aufgaben aus, die sich komplementieren: Alles, was es als Opernorchester ausmacht, transportiert es bei den Sinfoniekonzerten auf das Podium. Musik ist hier immer Affekt, immer Drama, immer ein „Geschichten erzählen“. Das ist in einem Opernorchester ganz tief verankert. Und diese Art des Geschichtenerzählens – da kommt man gar nicht umhin – zeigt sich immer auch dann, wenn das Orchester auf der Bühne sitzt und absolute Musik spielt. Letztlich nimmt das Orchester all das, was es an musikalischen Erfahrungen, an Geschlossenheit, Präzision und auch an breiter Brust auf dem Podium gewinnt, wieder zurück mit in den Graben.

 

Ein eigenes Label für die Bayerische Staatsoper - was gab den Ausschlag für seine Gründung?

Das Haus steht, wie auch das Orchester, nicht nur für höchsten künstlerischen Anspruch – sondern zugleich auch für eine ungeheure Breite und Vielseitigkeit. Beides wollen wir nach außen abbilden und einem großen Publikum weltweit zugänglich machen. Eine weitere Triebfeder für die Gründung des Labels ist der Paradigmenwechsel, der momentan bei vielen Künstlern und Kulturinstitutionen mit Blick auf ihre medialen Veröffentlichungen zu beobachten ist: Es herrscht nicht mehr nur der Wunsch oder Anspruch, „Lieferant“ künstlerischer Inhalte zu sein. Vielmehr besteht ein Interesse, diese selbst zu steuern, sie zu verwerten und zu kuratieren, also auch selbst entscheiden zu können, wann welche Ergebnisse veröffentlicht werden, wie lange und auf welchem Kanal. Diese Entwicklung ist übrigens nicht nur in der Klassik, sondern auch in anderen Branchen, etwa dem Pop, zu beobachten. Die Bayerische Staatsoper beschreitet diesen Weg mit STAATSOPER.TV schon länger. Dabei geht es in erster Linie darum, das Haus noch sichtbarer und zugänglicher zu machen und als kulturelle Institution zu legitimieren. Bei dieser wichtigen Aufgabe soll das Label helfen.

 

Die Orchestergeschichte weist nach Hans von Bülow weitere bedeutende Namen auf: von Richard Strauss, Bruno Walter, Carlos Kleiber, Wolfgang Sawallisch bis zu Kirill Petrenko. Wie ist es um das Archiv des Hauses bestellt? Welchen Anteil werden die historischen Aufnahmen bei der Planung künftiger Veröffentlichungen des Labels spielen?

Ich möchte jetzt natürlich nicht zu viel verraten. Aber soviel vorweg: Planungen gibt es. Die Auswahl der Archiv-Veröffentlichungen erfolgt dabei unter Berücksichtigung verschiedener Aspekte: Diese reichen von der Rechteklärung mit den Nachfahren bis hin zu der Frage, ob das Archivmaterial den künstlerischen und klangtechnischen Maßstäben für eine Veröffentlichung genügt. Wir sind gerade in dem Prozess, das Archiv gründlich zu sichten und durchzuhören - es gibt sogar einige Aufnahmen mit Richard Strauss als Dirigent. 

Das Bayerische Staatsorchester feiert 2023 außerdem sein 500jähriges Bestehen - ein halbes Jahrtausend, eine unfassbare, nahezu die gesamte europäische Musiktradition umfassende Zeitspanne! Auch das ist ein Teil dessen, was wir abbilden wollen: diese lange Tradition und diesen unglaublichen Fundus. 

 

Wird, um auf den Anfang unseres Gesprächs zurückzukommen, bei den Veröffentlichungen schon bald auch das Opernrepertoire eine Rolle spielen?

Selbstverständlich. Unsere zweite Veröffentlichung, das ist schon spruchreif, wird eine audiovisuelle sein: der Mitschnitt von Erich Wolfgang Korngolds „Die tote Stadt“. Damit sind die beiden Grundpfeiler des Labels gesetzt, die natürlich auch die Ära von Nikolaus Bachler und Kirill Petrenko repräsentieren:  einerseits der Audio-Mitschnitt eines Konzerts des Bayerischen Staatsorchesters unter Kirill Petrenko, andererseits eine herausragende Opernproduktion in einer  Inszenierung von Simon Stone, großartig besetzt mit Jonas Kaufmann und Marlis Petersen  - sowie auch hier wieder mit Kirill Petrenko am Pult des Staatsorchesters.

 

Für die erste Veröffentlichung des neuen Labels wurde Mahlers 7. Sinfonie ausgewählt.  Hat sich in der Geschichte des Bayerischen Staatsorchesters so etwas wie eine Mahlertradition herausgebildet? Immerhin gehörte auch Bruno Walter zu den Dirigenten, die das Orchester geprägt haben.

Das hoch- und spätromantische Repertoire liegt dem Orchester, zunächst denkt man dabei natürlich an die Werke von Richard Wagner und Richard Strauss. Letzterer, sein Vater war übrigens Hornist im Orchester, hat von 1892 bis 1894 alle Akademiekonzerte geleitet. Von daher gibt es natürlich eine große Tradition in dieser Stilistik. Gustav Mahler stand bei den Konzerten des Orchesters allerdings nicht besonders häufig auf dem Programm. Bruno Walter hat in seiner Münchner Zeit viel Fokus auf Beethoven, und weniger auf Mahler gelegt. Deutlich bedeutsamer wurde das Werk Mahlers für das Bayerische Staatsorchester, als zunächst Zubin Mehta und dann Kirill Petrenko dem Orchester vorstanden. Dieser programmatische Weg ist auch naheliegend: Das Phantastische, das Epische in Mahlers Musik, all die Brüche, das Parodistische darin – in solchen Elementen findet sich ein Opernorchester natürlich wunderbar aufgehoben. Wenn Sie die Frage nach der Mahlertradition des Bayerischen Staatsorchesters in 100 Jahren noch einmal stellen, wird man sicher mit „Ja“ antworten können.

 

Was macht aus Ihrer Sicht den Erstling des neuen Labels so besonders?

Der Mitschnitt der 7. Sinfonie von Gustav Mahler darf sicherlich als ein exemplarisches Dokument der Zusammenarbeit von Kirill Petrenko und dem Bayerischen Staatsorchester bezeichnet werden. Kirill Petrenko ist bei Aufzeichnungen eher zurückhaltend. Das mag darin begründet sein, dass die Einmaligkeit einer musikalischen Aufführung unumgänglich ist, und ein Mitschnitt – selbst wenn er live ist - nicht mehr als die Wiedergabe einer Konservierung des Moments ermöglicht. Vor allem hinterlässt man mit einer CD ein Zeugnis für die Nachwelt, ohne die Möglichkeit der künftigen Anpassung. Umso mehr ist die Zustimmung von Kirill Petrenko zur Veröffentlichung auch ein Grund dafür, warum diese Aufnahme einen besonderen Stellenwert einnimmt – übrigens auch bei den Orchestermitgliedern selbst.

Der Konzertmitschnitt zeugt zudem von ungeheurer Energie. Bei den sinfonischen Konzerten des Staatsorchesters, ob im heimischen München oder auf Tournee, gibt es wenig Raum für Habituelles oder Routine. Das ist immer ein wenig so, als wenn man den Hund von der Kette lässt. Und birgt die Voraussetzung für Spontaneität und Ereignis. Ich glaube, auch das kann man in dieser Aufnahme hören.