Nikolaus Harnoncourt „Matthäus-Passion“

Nikolaus Harnoncourt 

„Matthäus-Passion“

TELDEC

Die Zeit, in der Nikolaus Harnoncourt mit seinem Concentus Musicus die Matthäus-Passion Johann Sebastian Bachs zum ersten Mal für die TELDEC aufnahm, war auch eine Pionierzeit der Alten Musik in historischer Aufführungspraxis. Damals begann die Zusammenarbeit von Nikolaus Harnoncourt und dem legendären Produzenten Wolf Erichson für das Label „Das Alte Werk“ der Schallplattenfirma Telefunken (später TELDEC). Sie währte fast zehn Jahre und brachte rund achtzig Produktionen hervor, darunter die erste Einspielung der Brandenburgischen Konzerte auf Originalinstrumenten, Bachs Johannes- und die Matthäus-Passion. Erichson und Harnoncourt begannen auch mit der Gesamtaufnahme aller Bach-Kantaten, ein Mammutprojekt, an dessen Ende 3763 Minuten Musik auf 60 CDs standen. Bis heute lassen sich diese Gesamtaufnahmen im wahrsten Sinne des Wortes an einer Hand abzählen.

Es ist meist von besonderer Bedeutung, wenn ein Dirigent dasselbe Stück für das gleiche Label wiederholt aufnimmt. Die Gründe dafür können so vielfältig sein: ein neuer Ansatz, verbesserte Aufnahmebedingungen, neue Spielorte, andere Künstler. Genau dreißig Jahre nach seiner ersten Aufnahme der Matthäus-Passion  jedenfalls, machte sich Nikolaus Harnoncourt im Mai 2000 daran, Bachs 1727 komponiertes Werk ein zweites Mal für TELDEC aufzunehmen, wieder mit Alten Instrumenten und doch unter anderen Vorzeichen. Diese spiegelten sich vorrangig in der Sängerbesetzung und bei den Chören wider. In der ersten Matthäus-Passion von 1970 waren die Sopran-Soli mit Knabensolisten der Wiener Sängerknaben und die Alt-Partien mit den Countertenören Paul Esswood und Tom Sutcliffe besetzt, was der historischen Aufführungspraxis entsprach. Bei der Aufnahme vom Mai 2000 trat dieser Aspekt in den Hintergrund. Das herausragende Aufgebot an Solisten für die neue Produktion wurde von Nikolaus Harnoncourt auch für viele seiner weiteren Aufnahmen eingeladen: Christoph Prégardien als Evangelist, Matthias Görne als Jesus, die Sopranistinnen Christine Schäfer und Dorothea Röschmann, Bernada Fink und Elisabeth von Magnus im Alt, die Tenöre Michael Schade und Markus Schäfer und schließlich Dietrich Henschel und Oliver Widmer in den verschiedenen Bass-Partien dieser Passion.

Die 2001 veröffentlichte, aufwändig gestaltete Produktion erfuhr eine begeisterte Aufnahme und wurde 2002 mit einem Grammy ausgezeichnet.  „Interpretatorisches Glanzlicht am Bachhimmel“ war nur eine der euphorischen Bewertungen. „Die herrliche Besetzung steht stellvertretend für Harnoncourts interpretatorisches Konzept: Kulinarik ist das höchste Gebot, der einstige Asket hat keine Angst mehr vor schönen Tönen.“

Wer wissen möchte, was der Rezensent damals meinte, als er diese Aufnahme besprach, der höre zum Beispiel das berührende „Buß und Reu’“,  die Alt-Arie aus dem ersten Teil mit Bernarda Fink. Nicht nur der innige Ausdruck, sondern auch die instrumentale Einbettung durch den „Concentus Musicus“ macht seine Wirkung aus. Oder das Duett von Sopran und Alt „So ist mein Jesus nun gefangen“, oder die ergreifendste Arie der Matthäus-Passion überhaupt, jenes „Erbarme dich mein Gott“ aus dem 2. Teil: diese innige Fürbitte von Alt und Solovioline gleichermaßen gehört zu den Höhepunkten dieser Aufnahme.

Und auch, wenn der Schlußchor „Wir setzen uns in Tränen nieder“ den Tod Jesu beklagt – bei Harnoncourt hat diese Klage nichts Niederschmetterndes – aus ihr scheint ein Licht der Zuversicht über die Auferstehung.

 

tzm