
Es hatte schon beinahe etwas Prophetisches, was Peter Gabriel 2011 in einem Interview für den „Rolling Stone“ zum Besten gab: „Jemand sieht sich deinen Karriereverlauf an und sagt: Dieser Mann hat beruflichen Selbstmord begangen. Er hat dieses riesige Album, mit dem er 1986 seinen Durchbruch schaffte („So“, 1986) und dann ließ er sich 6 Jahre für den Nachfolger Zeit („Us“, 1992). Dann wartet er überhaupt 10 Jahre für das nächste Album („Up“ 2012). Und jetzt sitzen wir hier, wieder 10 Jahre später und das nächste ist noch lange nicht in Sicht...“ Und tatsächlich sollten sage und schreibe zehn weitere Jahre vergehen, ehe nach mehr als zwei Dekaden „i/O“, Peter Gabriels erstes Album mit neuem Songmaterial seit 2002 erscheint. Und wie um zu zeigen, dass er es gar nicht eilig hatte, seine 12 neuen Songs endlich zu präsentieren, veröffentlichte er im Laufe des Jahres 2023 zu jedem Vollmond einen neuen Song aus dem Album. „Es ist ein bisschen so, als würde man jeden Monat ein Lego-Steinchen bekommen“, meint er. Und um beim Bild zu bleiben: die Schachtel für die Lego-Steine kann gar nicht groß genug sein, denn Peter Gabriel präsentiert alle 12 Tracks auf einer Doppel-CD in zwei Stereomixen: dem Bright-Side Mix, der von Mark „Spike“ Stent bearbeitet wurde, und dem Dark-Side Mix von Tchad Blake. Es gibt sogar noch eine dritte Version - den In-Side Mix in Dolby Atmos. Er wurde von Hans-Martin Buff erstellt und ist im Drei-Disc-Set inklusive Blu-ray enthalten.
Und auf die ihm eigene Art thematisiert Gabriel was ihn umtreibt: das Leben, die Welt, das Universum, Raum, Zeit, den schieren Moment des Daseins und mittendrin der Mensch - „I'm just a part of everything“ heißt es im Titeltrack „i/o“ - mit Sterblichkeit und Trauer, aber auch mit Hoffnung und Optimismus. Mit solchem entlässt er uns am Ende des Albums, wenn er singt „Live And Let Live“, etwa im Duktus des großartigen Songs „Shaking The Tree“ den Peter Gabriel 1989 zusammen mit Youssou N’Dour geschrieben und auf dessen 1990 erschienen Album veröffentlicht hatte. Oder der Song „Road To Joy“ - er erinnert aufs Schönste an „Kiss That Frog“ vom 1992er Album „Us“. Weniger übrigens vom Inhalt als vom Spiel der Musiker her, die seit Jahrzehnten das Lineup auch seiner Livekonzerte bilden. Dazu gehören der quirlige Manu Katché an den Drums, der Bassist Tony Levin mit seiner „Wunderharfe“, dem legendären Chapman Stick und der fabelhafte David Rhodes an der Gitarre, um nur die „Stammbesetzung“ zu erwähnen. An dem insgesamt überwältigenden, jedoch stets sublimen Klangbild hat auch Brian Eno mit seinen elektronischen Sounds großen Anteil. „i/o“ ist ein Album geworden, das nicht nur mit seinen unterschiedlichen Mixen zu einer faszinierenden, mehrstündigen Reise einlädt, sondern auch über lange Zeit immer neue Facetten zur Entdeckung bereit halten wird.
tzm

Peter Gabriel – „i/o“
Virgin Music
2CD 17,95 €
2CD & Blu-Ray 23,95 €
2LP “Bright Side Mix” 44,95 €
2LP “Dark Side Mix” 44,95 €
(Bildrechte: Nadav Kander)