
Im April 1848 erwähnte Richard Wagner gegenüber dem Sänger und Schauspieler Eduard Devrient, der zugleich ein Freund Mendelssohns war, erstmals das Vorhaben, sich der Siegfried-Sage anzunehmen. Daran war nichts Ungewöhnliches, Wagner entsprach damit dem Zeitgeist – der Stoff war aktuell. Bereits 1840 befasste sich Mendelssohn damit, kurz darauf Robert Schumann. Der dänische Komponist Nils Wilhelm Gade begann 1846 mit der Vertonung eines Textbuches der Schriftstellerin Luise Otto.
Eduard Devrient schreibt am 21.Oktober 1848 in sein Tagebuch: „Kapellmeister Wagner brachte mir einen Opernentwurf, hatte wieder große sozialistische Rosinen im Kopf. Jetzt ist ihm ein einiges Deutschland nicht mehr genug, jetzt geht´s aufs einige Europa, auf die einheitliche Menschheit los." Aktueller geht es kaum...
Der Opernentwurf, von dem Devrient spricht, ist der zu „Siegfrieds Tod“ - Wagner hatte dazu zunächst das Textbuch erarbeitet. Dabei wurde ihm mehr und mehr bewusst, dass das Drama um Siegfrieds Tod eine Vorgeschichte braucht. Und so entwickelt sich das Thema allmählich in seiner Umfänglichkeit und Komplexität und bis schließlich der Plan für ein Bühnenweihfestpiel reifte.
Auf allen Ebenen der „Ring“-Tetralogie geht es um Macht und um die Politik als Mittel der Machterhaltung. Das ist, wenn man so will, das gesellschaftstheoretische Gerüst dieser Kunstwelt Richard Wagners. Um beschreiben zu können, was ihn umtrieb – die Unzulänglichkeit der alten Welt zu zeigen und das Ringen, um eine neue Welt zu inspirieren, verschränkte Wagner den Heldenmythos „Siegfried“ und den Mythos nordischer Göttersagen. Insgesamt 26 Jahre, also bis 1871, arbeitete Wagner an der Tetralogie „Der Ring des Nibelungen“!
Noch bevor Sir Simon Rattle nun sein Amt als Chefdirigent des Symphonieorchesters des Bayerischen Rundfunks antritt, dirigierte er im Februar dieses Jahres den "Siegfried“ und setzte damit seinen konzertanten Münchner "Ring des Nibelungen" fort, der jetzt als Live-Mitschnitt erscheint. Und gerade dieser Teil der Tetralogie liegt Rattle besonders am Herzen: „Im 'Siegfried' findet sich mit die dramatischste, farbenreichste und berückendste Musik, die Wagner je geschrieben hat.“ Er freue sich ungemein, so Rattle auch, den „Ring“ mit einer Sängerbesetzung fortsetzen zu können, wie sie besser nicht zu wünschen sei. Und er hatte allen Grund dazu. Der neuseeländische Tenor Simon O'Neill sang die Titelpartie, Anja Kampe die erwachende Brünnhilde. Wie schon im "Rheingold" gab Michael Volle auch hier den Göttervater Wotan.
Auch bei den „dunklen“ Charakteren konnte Rattle auf eine starke Sängerbesetzung zurückgreifen: mit Georg Nigl als verschlagener Alberich und Franz-Josef Selig als furchterregender Drache Fafner sind diese Partien hervorragend besetzt.
tzm

Sir Simon Rattle / BRSO – “Richard Wagner: Siegfried"
BR-Klassik
3CD 34,95 €
VÖ: 22.09.2023
(Bildrechte: Astrid Ackermann)