
„Opening“
ECM
Vor 19 Jahren hatte der Pianist Tord Gustavsen seine ECM-Laufbahn mit dem Trio-Album „Changing Places“ (2003) begonnen, dem bis dahin erfolgreichsten ECM-Debütalbum, das zugleich den Grundstein für eine ständig wachsende Fangemeinde legte – Musikkritiker eingeschlossen. Zwei weitere Trio-Alben folgten: „The Ground“ (2005) und „Being There (2007). Diese Trilogie, schwärmte damals die Zeitschrift JazzTimes, besäße die Kraft „destillierter Magie”. Danach wechselte Gustavsen Besetzung und Stil. Er spielte in Quartettbesetzung, probierte sich in erweiterten Ensembles, u.a. mit der Sängerin Kristin Asbjørnsen und kehrte 2018 mit dem Album „The Other Side“ zur Trio-Besetzung zurück.
Nun legt Tord Gustavsen mit veränderter Besetzung sein neues Trio-Album „Opening“ vor: neben dem Schlagzeuger Jarle Vespestad, mit dem er seit mehr als zwanzig Jahren zusammen musiziert, ist als neuer Bassist Steinar Raknes dabei. „Er ist ein aufgeschlossener Bassist, der einerseits im Mittelpunkt stehen kann, aber auch ein unglaublich unterstützender und bescheidener Begleiter ist, so dasser sehr wendig zwischen Hintergrund-, Kollektiv- und Solistenrollen wechselt." In der für Gustavsen typischen Handschrift offenbaren die zwölf Stücke des Albums sein musikalisches Hinterland, die Quellen seiner Inspiration: skandinavische Volkslieder, Gospel, Choräle – verarbeitet in jenem Mix aus komplexen rhythmischen und harmonischen Strukturen und freien Improvisationen wie etwa in dem Stück „Findings/ Visa Fran Rattik“, das mit einem instrumentalen Zitat des schwedischen Volksliedes "Visa från Rättvik" endet. Inspiriert wurde Gustavsen von den klassischen Volksliedarrangements des Jazzpianisten Jan Johanssons: „Ich habe viele seiner Arrangements auswendig gelernt, als Übung, und dieser Einfluss ist hier deutlich zu hören".
Dass vor allem das norwegische Volkslied Gustavsen als Inspiration dient, machen Stücke wie "Fløytelåt" (die Flöte), des 1908 in Bergen geborenen und 1981 in Oslo gestorbenen Komponisten Gveirr Tveitt deutlich. Das Norsk Salmebok, das norwegischen Gesangsbuch enthält auch Lieder des Komponisten Egil Hovland, dessen Oeuvre von geistlicher Musik, Messen, Kantaten, Chor- und Kammermusik geprägt ist. Eines seiner Kirchenlieder, „Vær sterk, min sjel", „Sei stark, meine Seele“ wählte Gustavsen zur Bearbeitung aus. Auch der „Shepard Song“ schafft auf wundersame Weise Assoziationen zu den archaischen Volkliedstrukturen Skandinaviens. Dass Gustavsens Radius viel weiter reicht, macht der „Helensbourgh Tango“ deutlich, dessen Struktur er Stück für Stück durch das Schlagzeug demontiert, bis letztlich vom Tango nurmehr die melancholisch-melodische und harmonischen Idee erhaltenen bleibt. Produziert wurde das Album im Auditorio Stelio Molo in Lugano.
tzm