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„Lies Bruckner!“
Er gehört nach Ludwig van Beethoven zu den großen Sinfonikern: Anton Bruckner. Auch er hat einen Zyklus von neun durchnumerierten Sinfonien hinterlassen. Und selbst wenn von der Neunten statt der geplanten vier nur drei Sätze fertig wurden - von einem großen Teil seiner Sinfonien liegen mehrere Fassungen vor, weil Bruckner sie immer wieder überarbeitete. Zudem gehören noch zwei frühe Studiensinfonien auf die Liste seiner Werke, von denen eine, die d-Moll Sinfonie auch als „Nullte“ geführt wird.
Anton Bruckner war ein großer Bewunderer der Musik Richard Wagners. „.. dem unerreichbaren, weltberühmten und erhabenen Meister der Dicht- und Tonkunst in tiefster Ehrfurcht...“ hatte er auf das Titelblatt der Erstfassung seiner Dritten Sinfonie geschrieben. Genau das ist auch der Ansatz für Valery Gergiev. Er dirigiere Bruckner über Wagner und Schubert: „Wenn man sich intensiv mit Beethoven, Schubert und Wagner beschäftigt hat, ist man Bruckner schon sehr nahe“, sagt er. Das erste Werk von Bruckner, das Valery Gergiev dirigiert hatte, war dessen siebte Sinfonie. Das war 1979 in Dresden, Gergiev war gerade mal 26 Jahre alt und gebeten worden, einzuspringen. „Vielleicht“, sagte er kürzlich in einem Interview, „war es mir vorherbestimmt, Bruckner in jungen Jahren zu erfahren“. Inzwischen gehört der Sinfonienzyklus des österreichischen Komponisten zu seinem Repertoire.
Dass Gergiev 2015 mit den Münchner Philharmonikern ein Orchester übernahm, dessen Bruckner-Tradition so lang wie vielgestaltig ist und wesentlich neben Dirigenten wie Rudolf Kempe, Günter Wand und Christian Thielemann vor allem durch Sergiu Celibidache geprägt worden war, beeinträchtigt ihn bei seinem Ansatz keineswegs. Man müsse es wie Celibidache machen: „Lies Bruckner! Lies die Noten!“ Das Verständnis des Urtextes lässt Gergiev unempfindlich gegenüber anderen Interpretationen sein. Dicht beim Komponisten und dessen durch tiefe Religiosität geprägten Musik zu sein, macht es ihm möglich, sie unvoreingenommen zu dirigieren und so den Ambitionen Bruckners in dessen sinfonischem Schaffen wohl ehesten gerecht zu werden. Dass es von der Mehrzahl seiner Sinfonien mehrere Fassungen gibt zeigt, wie sehr Bruckner auf der Suche nach dem wahrhaft gültigen Ergebnis war. Immer wieder zu ändern, neue Gedanken aufzunehmen und zu verarbeiten – die Ernsthaftigkeit Bruckners bei dessen Suche nach dem idealen Ergebnis macht sich Valery Gergiev zu Eigen. Das Stift St. Florian bei Linz, Österreich, an dem alle Aufnahmen entstanden, bildet dafür einen faszinierenden Rahmen von einzigartiger geschichtlicher Bedeutung: Unter der so genannten „Brucknerorgel“ befindet sich der Sarkophag Anton Bruckners, der hier Sängerknabe und später Organist war. Bruckner wollte unter der großen Orgel begraben sein.
Text von: Thomas Otto